Bemerkungen zum präventiven Stellenwert der Ruderergometrie

 

 

In der Zeitschrift „Mens Health“ wurde Ende letzten Jahres das Ergebnis einer Hamburger Studie vorgestellt, in der verschiedene „Indoor-Sportarten“ bezüglich ihrer Effektivität untersucht wurden. Überraschenderweise sprechen die wissenschaftlichen Ergebnisse dafür, dass das Training auf dem Ruderergometer bezüglich der Stoffwechselaktivierung und der Effizienz des Kreislauftrainings anderen Sportarten wie z. B. Spinning und auch dem Laufband deutlich überlegen ist.

Ursache für die hohe Effektivität des Ruderergometertrainings ist die Beanspruchung von bis zu 80 % der Körpermuskelmasse. Beobachtet man das Pulsfrequenzverhalten bei adäquaten Belastungsstufen auf dem Laufband, dem Fahrradergometer und dem Ruderergometer, so steigt in der Regel der Belastungspuls am schnellsten auf dem Ruderergometer und liegt unter gleichen Belastungsbedingungen auch höher als z. B. auf dem Spinningrad. Dies belegt die höhere Ganzkörperbelastung auf dem Ruderergometer.

Neben den bekannten positiven Auswirkungen eines regelmäßigen Ergometertrainings im aeroben Bereich, wie Förderung von Kraft, Schnelligkeit und Ausdauer sowie der besseren Stoffwechselkonditionierung, bleibt häufig ein wesentlicher Aspekt des Ruderergometertrainings unberücksichtigt:

Mit zunehmendem Alter spielen Erhalt und Neuerwerb koordinativer Fähigkeiten, auch bei der Vorbeugung von z. B. Sturzunfällen, eine große Rolle. Des weiteren ist ein wesentliches Ziel der Präventivmedizin die längstmögliche Erhaltung einer hohen Lebensqualität, auch was die assoziativen und kognitiven Gehirnleistungen anbetrifft.

Von den drei oben genannten Sportarten Laufen, Radfahren und Rudern stellt das Rudern zweifelsfrei die höchsten Ansprüche an das Koordinationsvermögen. Vorauszuschicken ist, dass jeder unserer Muskeln seine Entsprechung in unserem zentralen Steuerorgan, dem Gehirn, wieder findet. Von hier aus werden nicht nur die einzelnen Muskeln, sondern komplexe Bewegungsabläufe gesteuert. Dementsprechend beinhaltet eine Muskelaktivität und jede Bewegung gleichzeitig eine Aktivierung unseres Gehirns.

Beispiele lassen sich im täglichem Leben finden: Der erschöpfte Schüler, der nach stundenlangem Pauken eine Stunde spazieren geht oder joggt fühlt sich danach wacher, frischer und wieder aufnahmefähiger als zuvor. Das einfache morgendliche Gliederrecken und –strecken nach dem Aufstehen ist ein Vorgang, der den Wachheitsgrad unseres Gehirns (Vigilanz) erhöht. Die Finger- und Handkoordination beim Klavierspiel stellt ein fast intellektuelles Training dar.

In der vorbeugenden Medizin wird versucht, koordinative Eigenschaften zu bewahren, z. B. durch ein Tanztraining oder ein überwachtes Treppensteigtraining. Allein der Vorgang des Treppensteigens bedeutet eine Erhaltung von Schaltkreisen im Gehirn und eine Aktivierung der Sauerstoffversorgung. Es ist bisher nicht gelungen, einen Roboter zu bauen, der ohne Fremdsteuerung, diesen für uns einfach erscheinenden Vorgang des Treppensteigens auf zwei Beinen simulieren kann.

Vor allem der ältere Neueinsteiger beim Ruderergometertraining profitiert langfristig nicht nur bezüglich seines Herz-Kreislaufsystems, sondern auch im Sinne einer „intellektuellen Bereicherung“. Er erlernt neue Bewegungsmuster, wobei vor allem am Anfang der exponentielle Zuwachs an technischem Können eine positive Motivierung darstellt.

Unsere Erfahrungen zeigen, dass auch ältere Ruderer, die zuweilen vor Jahrzehnten das Rudern erlernt haben und seitdem ihre Technik in keiner Weise geändert haben, vom gezielten Ruderergometertraining profitieren können. Ohne die Gefahr des Kenterns können hier technische Fehler im Bewegungsablauf korrigiert werden. Häufig bedeutet dies für den langjährigen Ruderer eine völlige Umstellung seines bisherigen Ruderstils, vergleichbar mit einem Brustschwimmer, der den Kraulstil erlernt. Die notwendige Programmumstellung in unserem „Zentralcomputer“ entspricht wiederum einem geistig aktiven Prozess mit präventiven Eigenschaften.

Erfahrungsgemäß gibt es beim Erlernen neuer Bewegungsmuster deutliche geschlechtsspezifische Unterschiede. Frauen sind nicht nur primär koordinationsfähiger, sondern auch in der Lage, neue Bewegungsvorgänge rascher aufzunehmen als Männer. Mit zunehmendem Alter bevorzugen vor allem Männer bekannte Bewegungsmuster, auch beim Sport. Unbekannte oder ungewohnte Bewegungsabläufe (wie z. B. das Tanzen) werden gemieden.

Die wichtigste Maßnahme um hier eine positive Motivation zu erreichen, ist ein spaßorientiertes Training in der Gruppe, evtl. begleitet von aufmunternder Musik mit anregendem Rhythmus. Lerneffekte, auch im Bereich der Koordination, sind weitaus schneller und intensiver zu erreichen bei entspannender oder sogar fröhlicher Grundstimmung.

Unsere Rudervereine haben mit dem Gruppentraining auf dem Ruderergometer somit eine mögliche „Anti-Aging-Strategie“, die häufig in ihrem gesamten positiven Umfang nicht realisiert wurde. Aus präventiv – sportmedizinischer Sicht stellt das pulskontrollierte, von einem geschulten Trainingsleiter überwachte Ergometertraining ein außerordentlich effektives Werkzeug zur langfristigen Erhaltung und positiven Beeinflussung des Herz-Kreislaufsystems und der Koordination dar.

Die Rudervereine könnten durch ein verstärktes ganzjähriges Kursprogramm für die Öffentlichkeit das Angebot vieler Fitnessstudios, wenn nicht kopieren so doch ergänzen. Auch den Älteren könnte so die Attraktivität des Ruderns näher gebracht werden, in der Hoffnung auf vermehrte „Quereinsteiger“ in die Vereine.

Dr. K.-H. Gerhardt

(Dieser Artikel erscheint auch im „Rudersport“, die Red.)

 
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